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Chasing Highs: unser Interview mit Tove Lo

Von LNTV Germany / December 16, 2016

Man kann nicht bestreiten, dass Tove Lo ein echtes „Cool Girl“ ist. Im Kielwasser der beiden radiofreundlichen Pophits „Habits (Stay High)“ und „Talking Body“ – zwei Tracks, mit denen sie unter Beweis stellt, dass sie keine Angst vor Gefühlen hat, und gleichzeitig ganz lässig musikalische Leckerbissen auswirft – wurde Lo zu so etwas wie einer Schutzheiligen für sowohl lebens- als auch liebeshungrige Empathiker. Sie lebt in einer Welt aus poliertem Pop und roher emotionaler Ehrlichkeit, die verspricht, dass wir selbst dann, wenn das Leben nicht besser wird, einen Weg finden werden, trotz allem weiterzutanzen.

Lady Wood, das zweite Album der Singer-Songwriterin, macht dort weiter, wo ihr Debütalbum Queen of The Clouds aus dem Jahr 2014 aufhörte. Klar, sie strebt weiterhin nach dem Höhenrausch (ein Thema, das sich laut der schwedischen Musikerin sowohl in ihrer Kunst, als auch in ihrem Alltag wiederfindet), kämpft aber gleichzeitig mit recht vielen Tiefen, während sie sich mit nichts Geringerem als dem wahren Wesen von Liebe und Kummer in zwei thematischen Albumhälften mit den Titeln „Fairy Dust“ und „Fire Fade“ beschäftigt. Die Betrachtungsweise von Tove Lo ist keinesfalls rosig, doch die Natur ihrer Ehrlichkeit lässt ausreichend Raum zum Weinen, Tanzen und vor allem – Fühlen.

Wir haben uns mit Tove Lo am Vorabend der Veröffentlichung ihres Albums getroffen. Zwischen den Verpflichtungen im Rahmen ihrer großen Veröffentlichung/Kurzfilmprämiere/Geburtstagsparty erzählte sie uns, wie man (sicher) den Höhenrausch jagt, wie man immer ehrlich bleibt und wie sie sich am liebsten verabschieden würde, wenn die Welt morgen unterginge.  

 

LNTV: Herzlichen Glückwunsch zu Lady Wood! Ist es für dich genauso aufregend, dein zweites Album zu veröffentlichen?

Tove Lo: Ich glaube, ich kann es dieses Mal ein wenig besser verinnerlichen, weil ich jetzt weiß, was zu erwarten ist. Beim ersten Album dachte ich: „Was ist hier los? Macht man das so?“ Alles passierte so schnell; ich stand ein Jahr lang unter Schock. Ich glaube, jetzt bin ich ein wenig entspannter. Es war nicht schwer, das Album zu schreiben. Es war sehr emotional und intensiv und stellte eine Herausforderung dar, zu versuchen zu vergessen, dass Unmengen von Leuten das Album hören werden. Sie werden wieder all diese Dinge über mich erfahren. Ich bin so froh, dass ich mit den Leuten schreiben kann, mit denen ich gerade arbeite, und dass ich sagen kann, was ich denke und Songs so schreiben kann, wie ich will, ohne etwas erklären oder mich dafür entschuldigen zu müssen.

 

LNTV: Ich bin beeindruckt. Der Gedanke, so offen und ehrlich zu sein, hört sich ein wenig beängstigend an.  

Tove Lo: Es gehört zum Leben eines kreativen Menschen. Wenn man etwas erschafft, wird es zum allgemeinen Ventil, sowohl für gute als auch für schlechte Gefühle. Jeder hat dunkle Seiten in sich und nicht immer positive, inspirierende Gedanken. „Heute war ein schlechter Tag, aber morgen mache ich es besser!“ Nein, alles ist Scheiße. Und mir muss erlaubt sein, mich so zu fühlen. Ich weiß nicht, seit wann oder warum man Angst haben muss, traurig zu sein oder einen schlechten Tag zu haben oder harte Zeiten zu durchleben. Zuzugeben, dass man verletzlich ist, aber es ist fast so, als ob Verletzlichkeit mit Schwäche gleichgesetzt wird. Ich bin der Meinung, dass es in Wirklichkeit genau umgekehrt ist. In dieser Welt, in der es meistens darum geht, erfolgreich oder engagiert zu sein, darf man keine Fehler haben, da ein Fehler nicht als Persönlichkeitszug angesehen wird, sondern als etwas Schlechtes oder etwas, das man ablegen sollte. Mir sind Freunde mit Fehlern lieber, die echte Zuneigung fühlen. So denke ich über die Leute, die meine Musik verstehen. Voller Zuneigung. Sie verstehen mich oder, egal, aus welchem Grund ihnen der Song gefällt, sie verstehen ihn. Dies motiviert mich dazu, meine Musik nicht zu polieren oder zu verändern oder weniger offen zu sein. 

 

LNTV: Stößt du so manchmal gegen eine Wand, wenn du denkst, etwas sollte vielleicht nicht in einen Song einfließen?

Tove Lo: Es kommt darauf an, was sich auf meinem emotionalen Serviertablett befindet. Ich stelle andere Leute nicht bloß. Ich schreibe über meine Gefühle in anderen Situationen, und eher nicht über die andere Person selbst. Ein oder zwei Songs befassen sich mit der tatsächlichen Person. Ich sage hier Dinge über dich, anstatt nur meine Gefühle über dich zu vermitteln. An dieser Stelle höre ich ein kleines „Oh nein“ in meinem Kopf. Aber ich bin der Meinung, solange ich es bei meinen Gefühlen und Erfahrungen belasse, stellt es meine Wahrheit dar. Niemand kann sagen, dass es nicht wahr ist. Es gibt unterschiedliche Versionen auf der Gegenseite. Aber von meiner Seite aus, war es so. Solange ich das Gefühl habe, dass dies zutrifft, finde ich das ok.

 

LNTV: Bist du ein Mensch, der den Höhenrausch von Sex, Drugs und Rock 'n' Roll sucht? Dies scheint in deiner Musik ein geläufiges Thema zu sein. 

Tove Lo: Ja, in Lady Wood geht es darum, den Rausch zu jagen. Und zu versuchen, sich in den meisten Situation so lebendig wie möglich zu fühlen. Ich glaube, ich habe diese Seite wirklich in mir. Es stellt eine Flucht dar, aber es geht auch darum, nicht alle Regeln beachten zu wollen, die einem die Gesellschaft auferlegt. Die Leute sagen: „So sieht ein gutes Leben aus“, und damit bin ich nicht wirklich einverstanden. Ich weiß, dass man, wenn man ständig diesen Höhenrausch jagt und diese aufregenden Momenten genießt, es trotzdem tut, obwohl man weiß, dass es am nächsten Tag wehtun wird. Ich habe keine Angst vor den Tiefen; ich weiß, dass ich damit umgehen kann. Man muss sich nur bewusst sein, dass man bei so einem Leben nicht die extremen Höhen erreichen kann, ohne auch extreme Tiefen zu erleben. Man muss sich entscheiden; man muss seine eigenen Grenzen setzen und festlegen, was zu weit geht und was zu viel ist. Ich glaube, manchmal überschreitet man diese Grenzen ein wenig, aber solange man gute Absichten hat, geht das schon in Ordnung.

 

LNTV: Wenn du es so ausdrückst, hört es sich seltsamerweise ziemlich vernünftig an. Kenne deine Grenzen.

Tove Lo: Ich glaube nicht, dass dem viele Leute zustimmen würden! [lacht] Aber ich schon. Ich habe ein Gleichgewicht gefunden und habe es unter Kontrolle. Ich glaube, darauf kommt es an. Ich balanciere wahrscheinlich am Rand meiner Grenzen. Aber ich überschreite sie nur noch selten. Eine Zeitlang bin ich auf jeden Fall darüber hinausgegangen. Mir war bewusst, dass sich die Leute in meinem Umfeld fragten, ob ich noch bei Sinnen war. Sie lachten nicht mehr. Ich musste einige Dinge ändern und das tat mir gut. Wenn man dieses Leben lebt, ist man immer vom Rausch umgeben. Man muss sich die richtigen Momente dafür aussuchen.

 

LNTV: Auf diesem Album befasst du dich mit dem Konzept „Cool Girl“. Ich finde, dies ist ein Tropus, mit dem jede Frau irgendwann zu kämpfen hat; zu glauben, dass wir uns für jemand anderen verändern müssen.  

Tove Lo: Warum treiben wir in einer Beziehung diese Spielchen? Je weniger Gefühle man zeigt, desto mehr gewinnt man die Oberhand. Wenn ein emotional offener Mensch sagt: „Ich mag dich“, Scheiße, ja! Du hast die Macht, wenn du nicht zugeben willst, dass du genauso fühlst, selbst wenn dem so ist. Zwei Tage warten, bevor man zurückschreibt oder so. Männer tun das auch. Aber warum ist es etwas Schlechtes, emotional zu sein?  Man braucht viel mehr Kraft im Leben, um ehrlich genug zu sein, sagen zu können: „Ich mag dich. So sieht’s aus.“  Warum sollte man daran festhalten, wenn dies nicht auf Gegenseitigkeit beruht? Man legt es sozusagen darauf an zu scheitern. Warum sollte man sich verändern?

Der Begriff „Cool Girl“ stammt aus dem Film Gone Girl, weil ich ihren Monolog liebe, in dem sie erklärt, wie sie sich komplett verändert, um ihrem Ehemann zu gefallen. Ich hatte schon den ganzen Text fertig, kam aber nicht darauf, wie man das nennt. „Cool Girl.“ Warum verändert man sich, um sich an einen anderen Menschen anzupassen, und erwartet dann, etwas Echtes aus der Beziehung zu gewinnen? Man fühlt sich, als wäre man nichts wert, obwohl das nicht stimmt. Es ist sehr destruktiv.

 

LNTV: Ich bin der Meinung, du solltest eine Ratgeber-Kolumne schreiben, obwohl du dann wahrscheinlich keine Zeit mehr zum Schlafen hast.

Tove Lo: [lacht] Das könnte ich tun! Schickt mir all eure Beziehungsfragen! Ich regele euren Mist, während mein Mist weiterläuft.

 

LNTV: Alles klar, Ratgeberzeit mit Tove Lo: Wie geht man am besten mit einem gebrochenen Herzen um? 

Tove Lo: Lass die Gefühle zu und nimm dir Zeit. Dräng dich nicht dazu zu denken: „Oh, mir geht’s jetzt schon viel besser.“ Verdammt nochmal, erlaub dir, den Schmerz eine Zeit lang zu fühlen. Es wird sich anfühlen, als würdest du dabei draufgehen. Wenn man jemanden verliert, den man liebt, trauert dein Herz genauso, als ob er gestorben wäre. Es ist genauso schmerzhaft.  Man muss die Gefühle aber zulassen, um sie loszuwerden. Sie zerfressen dich sonst langsam von innen heraus. Vielleicht bist du gar nicht ganz am Boden. Aber du fühlst immer ein wenig Schmerz, nonstop. Für mich ist das viel schlimmer, als die Gefühle voll zuzulassen, zusammenzubrechen und sich langsam wieder aufzurappeln.

 

LNTV: In Bezug auf eine andere Art von Beziehung hattest du das Privileg mit einigen unglaublichen Musikern zusammenzuarbeiten unter anderem Wiz Khalifa, Icona Pop, Ellie Goulding und Nick Jonas. Woher weißt du, ob eine Partnerschaft erfolgreich sein wird?

Tove Lo: Wenn der Raum mit absoluter Ehrlichkeit gefüllt ist. Man fühlt, dass man sich gegenseitig respektiert. Man fühlt, dass es ehrlicher Respekt ist. Man liebt die Ideen des anderen – aber das Wichtigste ist, dass der Song sein volles Potenzial erreicht. Dies geschieht nur, wenn beide Parteien sehr ehrlich sind und keine Kompromisse schließen. Es dauert eine Weile, bis man diesen Punkt mit jemandem erreicht. Wenn jemand sagt: „Mir gefällt diese Idee nicht“, nehme ich es nicht als „Du bist schlecht“ auf. Die Idee passt einfach nur nicht in dieser Situation. Wenn man sich sehr wohl und entspannt fühlt, wenn man kritisiert wird, und man auch in der Lage ist, den anderen zu kritisieren, entsteht Großartiges. Wir vertrauen einander; wir respektieren den kreativen Raum des anderen. Wir müssen das nicht andauernd sagen, lass uns einfach schreiben. Das ist selten.

 

LNTV: Wenn heute dein letzter Tag auf Erden wäre, wie würdest du ihn verbringen?

Tove Lo: Ich würde mein eigenes „Burning Man“ Festival organisieren. Aber am Strand. Strand und Palmen. Mit allen Menschen, die ich liebe. Freunde, Künstler und Musiker, die ich verehre. Wir würden eine große Party mit Feuerwerk veranstalten. Jeder würde Neonfarben tragen und wir würden die ganze Nacht durchtanzen. Und mein Hund wäre auch da!

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